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Embodiment

08.01.2020

  Embodiment

Die Wechselwirkung von Gehirn, Körper und Umwelt

Dass Körper und Geist „irgendwie“ zusammenhängen, haben wir schon lange gewusst oder zumindest geahnt. Unsere Sprache bietet einen Reichtum an Hinweisen: Uns stehen die Haare zu Berge, wenn wir erschrocken sind. Wir legen den Finger in die Wunde, wenn wir auf ein bislang zu wenig beachtetes Problem aufmerksam machen wollen, der Junge ist noch grün hinter den Ohren, wenn er unerfahren ist. Wir begegnen uns auf Augenhöhe, um eine gleichberechtigte Beziehung herzustellen, jemand geht uns auf die Nerven, wenn er aufdringlich ist, man fasst sich an den Kopf, wenn man entsetzt ist und hat Schmetterlinge im Bauch, wenn man verliebt ist. Zusammen mit Zitaten und Sprichwörtern machen Redewendungen, besonders diejenigen, die den Körper miteinbeziehen, Aussagen lebendiger und verständlicher, weil sie an das anknüpfen, was uns bestens vertraut ist, nämlich unseren Körper und – besonders wichtig – weil sie mehrere Regionen im Gehirn miteinander verknüpfen. 

Wir denken ohnehin in Bildern, verwenden von daher Metaphern und eine bildhafte Sprache. George Lakoff, ein US-amerikanischer Linguist, hat herausgefunden, dass Metaphern oft auf körperlichen Erfahrungen beruhen. Ist jemand liebenswürdig, bezeichnen wir ihn als warmherzig, ist jemand abweisend, zeigt er die kalte Schulter. Im Gehirn geschieht folgendes: Die Nervenzellen für das Empfinden von Wärme werden verknüpft mit dem Empfinden von Zuneigung. Diese neuronalen Verbindungen werden oft wiederholt. Es entsteht eine robuste „Datenbahn“. 

Wenn wir mit Sprache etwas bewirken wollen, dann müssen wir im Gehirn des Zuhörers Bilder auf seiner geistigen Leinwand erzeugen, die er emotional positiv bewertet und abspeichert. Die sprachliche Verarbeitung erfolgt in der linken Gehirnhälfte. Metaphern, Redewendungen und bildhafte Ausdrücke erfordern eine räumlich-visuelle Verarbeitung. Dafür ist die rechte Gehirnhälfte zuständig. Metaphern aktivieren ein ganzes Geflecht von Assoziationen, alle anderen Informationen werden dem untergeordnet. Ein Bild sagt also mehr als tausend Worte. Metaphern und mehr noch diejenigen, die auf den Körper verweisen, helfen uns, komplexe Zusammenhänge rasch zu begreifen. 

 

Wenn im Gehirn etwas passiert, hat das Auswirkungen auf den ganzen Körper.

Gerald Hüther

  Gehirnforschung zum Thema Embodiment

Die Einheit von Körper und Psyche

„Das Gehirn“, schreibt der Neurobiologe Gerald Hüther, „ist mit dem Körper nicht einfach nur durch den Hals verbunden, sondern Gehirn und Körper bilden eine untrennbare funktionelle Einheit. (...) Signale, die vom Gehirn erzeugt werden, gelangen in den Körper und lösen dort bestimmte Reaktionen aus, andererseits gehen auch von den Prozessen, die im Körper ablaufen, Signale aus, die das Gehirn erreichen und seine Arbeitsweise in einer bestimmten Weise verändern.“ 

 

Dummy

 

 

Aus der Erkenntnis, dass Geist und Körper eine Einheit bilden, wurde das Konzept Embodiment entwickelt. In ihrem Buch „Embodiment – die Wechselwirkung von Körper und Psyche verstehen und nutzen“ beleuchten Maja Storch, Benita Cantieni, Gerald Hüther und Wolfgang Tschacher die neurobiologischen und psychologischen Aspekte der Verbindungen von Körper und Geist. Der Körper, so die Autoren, ist das wichtigste Erfahrungsinstrument des Menschen.

Das Lächeln eines Verkäufers beispielsweise erhält in diesem Zusammenhang eine neue Fundierung. Allein die muskuläre Veränderung beim Lächeln verhilft dem Verkäufer zu einem positiveren Affekt, was die Beziehung zum Kunden und damit den Geschäftserfolg fördert. Zugleich hilft es den Verkäufern, mit ihrer Arbeit zufriedener zu sein. Das Lächeln sollte allerdings echt sein, falsches Lächeln hört der Gesprächspartner an der Stimme. „Trage ein Lächeln und habe Freunde. Sei grimmig und habe Falten“, schrieb die Schriftstellerin George Eliot.

Angenommen, ein Gesprächspartner hat Ihren Worten zwar zugestimmt, jedoch mit seinen Gesichtszügen Ablehnung signalisiert? Das wäre für Sie ein Zeichen, dass hier offenbar eine Dissonanz vorliegt und der Angesprochene (noch) nicht überzeugt ist. Ihr Augenmerk sollte jedoch nicht nur auf den Gesprächspartner gerichtet werden, sondern ebenso auf sich selbst. Denn Wissenschaftler haben Erstaunliches nachgewiesen: Der Psychologe Fritz Strack gab einer Gruppe von Probanden die Anweisung, einen Stift zwischen die Zähne zu klemmen, eine zweite Gruppe sollte einen Stift zwischen den Lippen halten. Dem Versuch lag die Beobachtung zugrunde, dass ein Stift zwischen den Zähnen einem lachenden Gesicht ähnelt, ein Stift zwischen den Lippen hingegen einem unzufriedenen Gesicht glich. Während die Probanden den Stift in ihrem Mund hielten, wurden sie gebeten, sich Comics anzuschauen und zu bewerten. Die Probanden, die den Stift zwischen ihre Zähne klemmten, also lächelten, fanden die Comics deutlich lustiger als die Vergleichsgruppe. Daraus kann geschlossen werden, dass Gesichtsmuskelbewegungen, hier das Beispiel lächeln, nicht nur den Gesprächspartner positiv stimmen, sondern auch die eigene Befindlichkeit positiv beeinflussen können. Gleiches gilt auch für Personen, die aufrecht mit gradem Rücken stehen, sie gelten als selbstbewusst und durchsetzungsstark. Umgekehrt ist es möglich, sein Selbstbewusstsein zu stärken, wenn man aufrecht und mit gradem Rücken auftritt. 

Nach Paul Ekman, einem der angesehensten amerikanischen Psychologen und Entdecker der Mikroexpressionen, ist Mikromimik genetisch verankert, nicht erlernbar, überall auf der Welt gültig und abhängig vom gefühlsmäßigen Befinden des „Senders“. Ein angedeutetes Lächeln, ein kurzes Naserümpfen, hochgezogene Augenbrauen, ein offener Mund, eine vorgeschobene Unterlippe - zahlreiche Varianten der Mimik deuten auf das emotionale Innenleben. Pokerface oder Unschuldsmiene, Grimasse oder Stirnrunzeln? Egal, wir können Mikroexpressionen nicht willkürlich steuern und sie nicht verbergen. Insofern bleibt uns nur die genaue Beobachtung, inwiefern wir eine Unstimmigkeit zwischen den Worten und dem Verhalten bemerken. Wer etwas bestätigt und zugleich seine Schultern anhebt oder sich an der Nase kratzt oder seinen Kopf zur Seite legt, könnte möglicherweise lügen.

Fazit: Unser Denken zieht unbewusst die passende Körpersprache nach und – umgekehrt - die eigene Körpersprache beeinflusst auch unser Denken.

 

Dieser Blogartikel ist in Auszügen meinem Buch "Neuro:selling" entnommen ( ISBN: 978-3-947104-37-6)

Bedeutung und Erfahrung werden erzeugt durch die andauernde Wechselwirkung von Gehirn, Körper und Umwelt.

Maja Storch