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Bauch oder Kopf?

18.04.2016

  Neurobiologie: Die Grenzen des rationalen Denkens

Bauch oder Kopf?

Tablet oder LapTop? Bahn oder Auto? Überholen oder abbremsen? Tagein, tagaus treffen wir Entscheidungen, von früh bis spät und das immer. Und häufig treffen wir eine Wahl „aus dem Bauch heraus“, was zunächst gegen jede Vernunft zu sprechen scheint.

Dass der Bauch dieses und der Kopf aber jenes will, hat in unserer Alltagssprache mittlerweile einen wichtigen Platz erobert. Jeder Zwiespalt und jede unsichere Entscheidung kann ein Gefühl vermitteln, dass Bauch und Kopf gegeneinander antreten. Der vermeintliche Kampf zwischen den konkurrierenden Körperteilen hat auch Eingang in die Musik gefunden: Mark Forster singt: „Bauch sagt zu Kopf ja, doch Kopf sagt zu Bauch nein und zwischen den beiden steh ich...“ Bei diesem Song geht es – natürlich - um die Liebe, ein Gefühl, das mehr ist als Pulsschlag, Schweißausbruch und Hormonschub. „Die Liebe“, so die Wissenschaftlerin Eva-Maria Engelen, „ist ein Gefühl, das bei den Leistungen der Vernunft eine fundierende Rolle spielt.“ Gefühle vernebeln keineswegs den Verstand. Es gibt, wie der Neurowissenschaftler Antonio Damasio betont, keine Entscheidung, kein Handeln, keine Wahrnehmung ohne Emotionen. Dass unsere Entscheidungen rein vernünftig und rational getroffen werden, gehört in die Mottenkiste der Wissenschaft.

Ob bewusst oder unbewusst, wir treffen am Tag bis zu 20.000 Entscheidungen, so der Hirnforscher Ernst Pöppel. Bei der Wahl einer Marmelade oder eines Pullovers mag das leicht sein. Doch je weitreichender die Folgen sind, desto schwieriger fällt es uns, eine Entscheidung zu treffen: Arzt oder Anwalt? Selbständigkeit oder Anstellung? Operation oder Tabletten? Wir sind hin- und hergerissen zwischen zwei Alternativen, meinen, wir könnten eine Münze werfen ... und entscheiden uns am Ende doch!

Die Geschäftsleitung hat Ihnen eine hervorragende Stelle angeboten: mehr Verantwortung, ein höheres Gehalt, wachsende Anerkennung. Hört sich toll an. Doch zugleich meldet sich ein merkwürdiges Bauchgefühl, irgendetwas stimmt nicht....

Was ist hier los? Vermutlich meldet sich hier das „emotionale Erfahrungsgedächtnis“. Dieser emotionale Erlebnisspeicher begleitet uns ein Leben lang und ist die Summe der individuellen Erfahrungen. Dort wird umfassendes Erfahrungswissen in Form von Gefühlen und Körperempfindungen gespeichert, und zwar in den sogenannten somatischen Markern (griechisch soma = Körper). Finden wir uns in vergleichbaren Situationen wieder, wird das Gelernte abgerufen mit dem Ergebnis, gute Erlebnisse zu wiederholen und schlechte zu vermeiden. Es ist ein blitzartiges körperliches Zeichen, das innerhalb von Millisekunden uns „Stop“ oder „Go“ signalisiert. Wir verspüren lediglich ein gutes oder schlechtes Gefühl. Die ursprüngliche Erfahrung bleibt im Unbewussten und ist quasi eingefroren. Wir nehmen sie wahr als zitternde Knie, Kloß im Hals, als Kribbeln im Bauch, oder als wieder frei atmen können. So ist das Bauchgefühl an Entscheidungsprozessen beteiligt.

 

Phantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt. Albert Einstein

 

  ... gefühlte Ahnung

Die Kraft der Intuition

Allerdings ist uns nicht bewusst, worauf Bauchentscheidungen beruhen.Generell mögen die meisten Menschen keine Wissenslücken und wollen sich nicht vorstellen, dass es eine Gedankenwelt gibt, die unter dem Radar des Bewusstseins in die Entscheidungsprozesse des Gehirns gelangt. Von daher tendieren sie dazu, größere Lücken mit Halbwissen oder sogar Lügen zu zukitten. Der Neurobiologe Gerd Gigerenzer, Direktor am Max-Planck-Institut, erklärt, dass der Mensch über Jahrtausende hinweg Entscheidungen bei äußerst dürftiger Faktenlage hat treffen müssen - und das mit guten Ergebnissen. Und auch heute führt das Abwägen von Pro und Kontra nicht unbedingt zu besseren Ergebnissen. Gigerenzer unterscheidet Optimierer, die stets die bestmögliche Wahl treffen wollen, von Schnellentscheidern, die ihre Suche begrenzen und mit der ersten Alternative, die gut genug ist, sich zufrieden geben. In seinen Studien zeigt er, dass die Schnellentscheider größeren Optimismus, eine höhere Selbstachtung und Lebenszufriedenheit haben, während die Optimierer bei Depressionen, Perfektionismus, Reue und Selbstvorwürfen vorne lagen. Fazit: Weniger bewusstes Wissen ist manchmal mehr!

Dummy

Die Qual der Wahl: intuitiv oder wissensbasiert?

 

Beispiel Geldanlage. 1990 erhielt Harry Markowitz für seine bahnbrechenden Arbeiten über die Portfolio-Optimierung den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Er hat eine überzeugende, höchst komplizierte Formel entwickelt, mit der das Aktienrisiko vermindert und die Rendite maximiert werden konnte. Und hat der Nobelpreisträger zur Sicherung seines Ruhestandes sich auf seine Strategie verlassen? Keineswegs, er wandte eine einfache Faustregel an: verteile dein Geld gleichmäßig auf jeden von N Fonds. Laien wenden dieselbe Regel intuitiv an, sie investieren gleichmäßig.

Beispiel Partnerwahl. Wenn sich eine Frau zwischen zwei Männern entscheiden will, bzw. ein Mann zwischen zwei Frauen, stellt sich die Frage, wie sie sich entscheiden sollen. Listen sie alle Vor- und Nachteile der Person auf? Das wäre eine rationale und logische Methode. Doch kaum jemand würde so handeln. In der Liebe entscheiden wir intuitiv. Und das, obwohl es sich hier um eine äußerst wichtige Entscheidung handelt.

Beispiel Ballsport: Wie berechnet ein Sportler die Flugbahn eines Balles? Theoretisch müsste er die ursprüngliche Entfernung, die Geschwindigkeit und den Winkel der Flugbahn berechnen und dabei berücksichtigen, dass die Flugbahn von Luftwiderstand, Wind und Drall beeinflusst wird. Innerhalb von Sekunden, das heißt, während der Ball in der Luft ist, müsste er den voraussichtlichen Landepunkt berechnen. Das wäre eine rationale Methode, die davon ausgeht, dass ein komplexes Problem durch einen komplexen Prozess gelöst werden kann. Stattdessen wendet der Sportler eine einfache Blickregel an: Fixiere den Ball, beginne zu laufen, und passe deine Laufgeschwindigkeit so an, dass der Blickwinkel konstant bleibt.

 

Ich hab`s dir gleich gesagt! Mit freundlichen Grüßen - Deine Intuition.

 

  Pro und Kontra

Die Kunst kluger Entscheidungen

Gerd Gigerenzer verwendet die Begriffe Bauchgefühl und Intuition synonym. Intuition taucht rasch im Bewusstsein auf, wir verstehen nicht ganz, warum wir sie haben, aber wir sind bereit, nach ihnen zu handeln. Zu viele Information erschweren die Entscheidungs-findung. Wir fällen täglich unzählige intuitive Entscheidungen, wir wissen, wie man das Auto abbremst, wir wissen, wie man einen Kartoffelschäler ansetzt, wir wissen, welche Lebensmittel für uns gut sind u.v.m. Angenommen, sie müssten jedes mal überlegen, wie Sie Ihre Schnürsenkel zu binden haben – Sie kämen nie aus dem Haus. Vieles ist eingeübt, der Autopilot im Gehirn sorgt für automatisierte Abläufe und spart zudem Energie, die das Gehirn für wichtigere Aufgaben benötigt.

Wissenschaftler des Max-Planck-Institutes und der Universität Basel untersuchten, ob wir eher mit dem Bauch oder mit dem Kopf entscheiden. Das hängt weniger damit zusammen, welcher Entscheidungstyp wir sind, vielmehr spielt vor allem der Inhalt einer Entscheidung eine wesentliche Rolle. Während wir bei der Partnerwahl, bei der Kleidung oder Restaurants eher intuitiv entscheiden, setzen wir bei Themen wie Medizin, Elektronik und Urlaub eher auf wissensbasierte Abwägungen. Aber auch hier gilt, keine Entscheidung ohne die Beteiligung von Emotionen. Menschen bevorzugen je nach dem Inhaltsbereich die eine oder andere Entscheidungsart. Und das übrigens unabhängig vom Geschlecht. Das Vorurteil, dass Frauen lieber mit dem Bauch entscheiden als Männer, wurde nicht bestätigt.

Und wann ist eine intuitive Entscheidung sinnvoll? Wenn eine zukünftige Situation beurteilt werden soll, wenn die Informationslage ungewiss ist oder Ihre Vorkenntnisse eingeschränkt sind.

„Die Kunst der klugen Entscheidungen“, so die Diplompsychologin Maja Storch, „beherrscht, wer seine beiden Entscheidungssysteme – der Verstand und das emotionale Erfahrungsgedächtnis – souverän handhaben kann.“

 

Warum treffen so oft Leute, die sich als besonders rational bezeichnen, im Alltag zielsicher die falschen Entscheidungen? Eva-Maria Engelen