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Was denkt sich eigentlich unser Gehirn?

04.03.2013

  Neue Impulse der Gehirnforschung

Was denkt sich eigentlich unser Gehirn?

Es ist durchschnittlich 1,4 kg schwer, macht 2% der Körpermasse aus, benötigt aber 20% der Energie und besteht vorwiegend aus Wasser, Eiweiß und Fett. 170 000 km Nervenfasern sind über 10 hoch 14 Synapsen miteinander verknüpft, und es wird aus etwa 84 Milliarden Neuronen gebildet. In jeder Sekunde kann es einen Terabyte Daten verarbeiten, die über unsere fünf Sinne in uns gelangen. Das menschliche Gehirn ist derzeit im Fokus des Interesses. Und wenn man die Zeichen der Zeit richtig deutet, hat sich die Gehirnforschung mittlerweile zu einer Leitwissenschaft entwickelt!

In Kürze wird US-Präsident Barack Obama ein milliardenschweres Forschungsprojekt mit Namen "Brain Activity Map" starten, das sich zum Ziel gesetzt hat, die letzten Geheimnisse des menschlichen Gehirns zu entschlüsseln. Auch in Europa tut sich auf diesem Gebiet etwas. Die europäische Gemeinschaft pumpt eine Milliarde Euro in das "Human Brain Project", mit dem die Arbeitsweise des menschlichen Gehirns simuliert und verschiedene Zweige der Wissenschaft revolutioniert werden sollen. Bei beiden Forschungsvorhaben geht es darum, neurologische Krankheiten wie Depressionen, Alzheimer oder Parkinson zu bekämpfen, denn diese Erkrankungen gehen einher mit Veränderungen im Gehirn. Allerdings haben diese Mammutprojekte auch das Ziel, das menschliche Verhalten auf der Ebene der Neuronen und ihrer Vernetzung zu entschlüsseln. Bereits jetzt setzen sich die Initiatoren eingehend mit gesellschaftlichen, rechtlichen und ethischen Auswirkungen der wissenschaftlichen Errungenschaften auseinander, und man erwartet weitreichende Auswirklungen auch auf die Bildung!

Mittlerweile haben sich die in den letzten Jahren sprunghaft angestiegenen Veröffentlichungen über die Arbeitsweise des menschlichen Gehirns im Trainingsmarkt niederschlagen, und wer die aktuellen Angebote studiert, entdeckt: "Neurothemen" sind allgegenwärtig!

Wir finden zum Beispiel "Neuro Associative Selling", eine Methode, welche die neuropsychologischen Erkenntnisse verkaufsstrategisch nutzen soll, wir lesen, dass "Neuromarketing" die Verkaufserfolge steigert, Pädagogen raten, mit "Neurodidaktik" das Lernen zu erleichtern, und unsere Sprache ist um einige Wörter reicher: Neuroleadership, Neurodidaktik, Neurobiologie, Neuropsychologie, Neuromarketing, Neuroökonomie, Neurowissenschaft ... Alles "Neuro" oder was?

Zahlreiche Referenten wie zum Beispiel Ralf Besser oder Prof.Dr. Gerald Hüther präsentieren "Wissenswertes zur Gehirnforschung" oder bieten "neurodidaktische Workshops" an, nahezu alle Trainingsanbieter haben in ihre Programme "Neurothemen" aufgenommen. Und das Interesse daran, sich mit gehirngerechtem Verhalten zu beschäftigen, ist riesig! Haben wir es hier mit einer Modeerscheinung zu tun? Gibt es einen Neuro - Hype? Keineswegs!

Zwar tauchen - wie so häufig, wenn eine neue Richtung eingeschlagen wird oder sich neue Perspektiven eröffnen - Trittbrettfahrer mit gemäßigter Kompetenz und geringer Fachkenntnis auf, die großspurig versprechen, den "Kaufknopf" beim Kunden gefunden oder die "allerletzten Geheimnisse" gelüftet zu haben. Bei derartigen Offerten ist allerdings Skepsis angebracht!

Auf der anderen Seite haben die Neurowissenschaften neue Akzente gesetzt, die gewohnte Denkweisen in Frage stellen oder Bekanntes bestätigen.

Beispiel Lernen. Mithilfe von Gehirnscannern sind wir inzwischen in der Lage, neuronale Prozesse sichtbar zu machen, Denkmuster zu erkennen und zu ermitteln, bei welchem Verhalten welche Areale im Gehirn aktiv sind. Was läuft im Gehirn ab, wenn wir lernen? Wie kommt das Wissen in unseren Kopf und wie wird es dort verarbeitet?

Illustration Hirnaktivität

Gehirn in Aktion

Ganze Generationen sind mit der "Weisheit" aufgewachsen, "was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr!" Die aktuelle Hirnforschung hat dieses Dogma vom Sockel gestoßen, denn es ist nachgewiesen, dass das menschliche Gehirn im Verlaufe seines gesamten Lebens das Potential der Selbsterneuerung und Reorganisation besitzt. Das Gehirn kann also gar nicht anders als lernen, selbst im Schlaf gibt es keine lernfreie Phase. Wer bisher für lebenslanges Lernen eingetreten ist, wurde bestätigt.

Dass Angst das Lernen behindert, haben viele Lernende und Lehrende längst erkannt, manche allerdings missachtet. Seit 1997 kennen wir den Nucleus accumbens, ein "Lernturbo" zur positiven Verstärkung von Lernprozessen (Manfred Spitzer), der eine zentrale Rolle im Belohnungssystem spielt. Eine positive Lernatmosphäre begünstigt also den Lernprozess.

Wenn Synapsen, also Kontaktstellen im Gehirn, durch wiederholte Impulse erregt werden, verstärken sie sich und das entsprechende Hirnareal wächst. Ein Grundprinzip erfolgreichen Lernens wird dadurch verifiziert: Die Wiederholung!

Wir erkennen, von Seiten der Neurowissenschaft wird vieles von dem bestätigt, was wir schon ahnten oder wussten, anderes erscheint in neuem Licht. Von der Informationsverarbeitung unseres Gehirns lassen sich veränderte didaktische und methodische Prinzipien ableiten. Neue Ansätze aus der Hirnforschung können – konsequent angewendet – Lernprozesse wirksam erweitern und das Lernen effektiver gestalten. Nun gilt es also, die Nerven zu behalten und auf weitere faszinierende Ergebnisse der Hirnforschung zu warten!

 
Das Gehirn ist ein Organ, mit dem wir denken, dass wir denken.Ambrose Bierce